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Día de Muertos
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Skelette in unterschiedlichsten Kostümen grinsen aus den Schaufenstern (Foto: Birgit Fritz) Totenschädel aus Zuckerguß (Foto: Karin Vincke) Makaber dekoriertes Grab in Mixquic (Foto: Karin Vincke) "La Catrina", die Figur des mexikanischen Künstlers José Guadalupe Posada, als Schaufensterdekoration (Foto: Karin Vincke) Mexikanische Schaufensterdekoration (Foto: Karin Vincke) |
Während wir Mitteleuropäer Allerheiligen und Allerseelen mit grauer Novemberstimmung, Besinnlichkeit und Trauer assoziieren, bedeuten diese Tage für einen Mexikaner Ausgelassenheit und Freude, schließlich handelt es sich um eines der größten Feste des Jahres. Die Vorbereitungen zu dieser für unsere Augen etwas makaber wirkenden Feier finden bereits Mitte Oktober statt: Schaufenster werden mit Totenschädeln und Skeletten dekoriert, Straßenhändler bieten buntbemalte Gerippe aus Papier, Plastik und anderen Materialien an; aus den Auslagen grinsen Revolutionshelden, Politiker, Popgruppen oder Hochzeitspärchen, alle als Skelette dargestellt; in den Bäckereien gibt es pan de muerto (Totenbrot) in Gestalt von Knochen und Gebeinen sowie calaveras (Totenköpfe) aus Zuckerguß, Schokolade oder Marzipan. Wer ein passendes Präsent für einen Freund oder Verwandten wünscht, läßt sich auf der Stirn des Totenschädels dessen Namen mit bunter Zuckerschrift eintragen oder klebt einfach ein Namensschild hinauf. Solch ein Geschenk würde bei uns wohl Befremden auslösen, in Mexiko wird es jedoch vor allem von Kindern freudig angenommen und genußvoll verzehrt.
In Mexiko besteht der Glaube, daß die Seelen der Verstorbenen am día de muertos, dem "Tag der Toten", für kurze Zeit zu den Lebenden zurückkehren. Um ihnen den Weg zu ihrer Familie zu weisen, wird die Straße vom Friedhof nach Hause mit gelben Blütenblättern bestreut. In den Wohnungen werden kleine Altäre errichtet, die mit Kerzen, Blumen, Heiligenbildern und Kruzifixen sowie mit Zuckergußtotenschädeln und den Lieblingsspeisen der Verstorbenen geschmückt werden. Auch deren Laster werden berücksichtigt, denn nicht selten befindet sich eine Flasche Tequila oder ein Päckchen Zigaretten auf dem Altar. In Yucatán heißt das Allerseelenfest hanal pixan, was in der Sprache der Maya "Nahrung für die Seelen" bedeutet. Die zurückgekehrten Seelen können sich im Kreis ihrer Angehörigen an den ihnen dargebrachten Speisen und Getränken - oder zumindest an deren Gerüchen - laben. Zu Allerseelen darf natürlich auch der Gang auf den Friedhof nicht fehlen. Die Familien pilgern mit Kerzen, Blumen, Speisen und Getränken zu den geschmückten Gräbern. Die Stimmung ist fröhlich, es wird geplaudert und gelacht, gebetet und gesungen und ein regelrechtes Picknick abgehalten, bei dem auch so manche Flasche Tequila geleert werden kann. In Mexiko Stadt wurde die Mitnahme von berauschenden Getränken zum Friedhof verboten, um Alkoholexzesse zu verhindern. Wer sich hier vergnügen will, kann dies im Stadtteil Mixquic, wo in der Nacht vom 1. auf den 2. November eine besondere Attraktion wartet: ein wunderbar schaurig gruseliger Rummelplatz. Zwischen den Menschenmassen tanzen Skelette durch die Straßen, Särge werden herumgetragen, unheimliche Masken blicken hervor; die Straßen sind gesäumt mit Imbißbuden und Verkaufsständen für Skelette, Zuckergußtotenschädel, Marzipansärge und ähnliches Requisit; Musikgruppen spielen und es wird bis früh am Morgen ausgelassen gefeiert. Für den Mexikaner ist der Tod kein Tabu, im Gegenteil, er ist "sein Lieblingsspielzeug und seine treueste Geliebte", wie der mexikanische Schriftsteller und Nobelpreisträger Oktavio Paz schreibt. "Vielleicht quält ihn ebenso die Angst vor dem Tod wie die anderen, aber er versteckt sich nicht vor ihm noch verheimlicht er ihn, sondern sieht ihm mit Geduld, Verachtung oder Ironie frei ins Gesicht."
Obwohl Mexiko ein katholisches Land ist, haben sich vor allem unter der indigenen Bevölkerung viele alte Traditionen und Glaubensvorstellungen gehalten. So reichen auch die Wurzeln der mexikanischen Allerseelenfeiern zum Teil bis in präkolumbische Zeit zurück. In der Kunst der Azteken war der Tod omnipräsent. In Stein gemeißelte Reihen von Totenköpfen bildeten den Sockel des Tzompantli, des Schädelgerüstes, auf das die Schädel der Geopferten aufgespießt wurden. Den Azteken galt der Opfertod als heilig, denn in ihrer Vorstellung konnten die Götter und der Kosmos nur durch die Opferung von Menschenblut und
-herzen weiterbestehen. Die Geopferten erwartete ebenso wie die gefallenen Krieger und die im Kindbett verstorbenen Frauen ein privilegiertes Jenseitsschicksal. Sie kamen ins Paradies der Sonne, während Menschen, die eines gewöhnlichen Todes gestorben waren, in die Unterwelt Mictlan mußten. Im zyklischen Weltbild der alten mesoamerikanischen Völker bedeutete der Tod jedoch nicht das absolute Ende, sondern nur eine Phase im ewigen Kreislauf von Leben, Tod und Wiedergeburt.
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Tzompantli, Schädelgerüst der Azteken (Foto: Karin Vincke) © 1998,2000 Karin Vincke | ||||||
Literatur
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